Analysen, Tests, Vergleiche

Die vorliegenden Details ermöglichen eine viel fundiertere Gesamtanalyse – insbesondere durch die exakten numerischen Angaben (z. B. +3,0, +2,5, +0,5) aus Stockfish 16 sowie durch die Referenz zu mehreren klassischen Mephisto-Modellen (MM I, MM II, MM IV bis hin zum Berlin 68000). Diese Kombination erlaubt eine nüchterne und methodisch interessante Korrelation zwischen modernen Engines, alten Schachcomputern und menschlichen Entscheidungen auf Weltklasse-Niveau. Zu erwähnen bleibt, das es sich hier überwiegend um bestimmte Positionen handelt, die nicht selten von Zeitnot und anderen relevanten Aspekten geprägt sind. Zum Abgleich wurden die auf diese Stellung getesteten Schachcomputer auf Blitzbedenkzeit eingestellt.

Erweiterte Betrachtung der Partie Gukesh – Carlsen, Norway Chess 2025, Rd. 6

Zug 44…Th8 – verpasste Übernahme der Initiative

  • Stockfish 16 Bewertung: ~ +3,0 für Schwarz
  • Mephisto MM II / MM IV / Berlin 68000: spielen Th8
  • Carlsen spielte: 44…f6 → Bewertung nur ~ +0,7
  • Mephisto MM I: würde hier ebenfalls f6 spielen – also gleicher Zug wie Carlsen in der Partie – was zumindest interessant ist.

Interpretation:

  • Th8 ist ein starker, dynamischer Zug, der den König über Kf7–Ke6 zentralisieren hilft, Verteidigung organisiert und Gegenchancen sichert.
  • Dass ältere Schachcomputer diesen Zug spielen, liegt daran, dass sie häufig Turmaktivität und Zentralisierung stark gewichten. Ihre Evaluationsfunktionen sind trivialer, aber im Endspiel mit reduziertem Material in taktischen Positionen relativ solide.

Zug 44…f5 – zweitbeste Variante laut Stockfish 16

  • Stockfish 16: ~ +2,5 für Schwarz
  • Mephisto Berlin 68000: bevorzugt diesen Zug → aktiv, raumgreifend
  • Deutlich besser als das gespielte f6, welches zu passiv war.

Interpretation:

  • Auch wenn f5 ein „aggressiver“ Zug ist, bewerten sowohl moderne als auch alte Engines diese Aktivität ziemlich hoch. Das spricht dafür, dass einfache Bewertungsfunktionen in simpleren Endspielen durchaus effektiv sind.
  • Dass Carlsen diesen Zug übersieht, ist ein strategischer Aussetzer, möglicherweise bedingt durch Zeitnot und dem damit verbundenen temporären Verlust der Bewertungsobjektivität.

Zug 52…Te8 – einzige echte Verteidigung

  • Stockfish 16: ~ +0,5 für Schwarz
  • Mephisto MM II, MM IV, Berlin 68000, sogar MM I: alle spielen Te8
  • Carlsen spielte: 52…Se2+ → Bewertung kippt auf –5,6

Interpretation:

  • Der Zug Te8 ist aus maschineller Sicht logisch: er sichert die achte Reihe, droht Gegenangriffe und verhindert kritischen Tempogewinn für Weiß.
  • Dass alle genannten Mephisto-Modelle diesen Zug finden, während Carlsen ihn übersieht, ist bemerkenswert – nicht, weil sie intelligenter wären, sondern weil sie mechanisch zuverlässig in solchen Stellungen mit wenigen Sekunden auf der Uhr rechnen.

Mensch vs. Schachcomputer

1. Kernfazit: In bestimmten Positionen (begrenztes Material, klare taktische Motive) sind klassische Schachcomputer den Menschen teilweise überlegennicht wegen formaler Spielstärke, sondern weil sie schlicht keine Emotionen, Ermüdung oder Zeitdruck kennen.

2. Zugfehler im Spitzenschach:

  • Carlsen macht bei Zug 44 und 52 gravierende Ungenauigkeiten und taktische Fehler – das ist objektiv nachteilig, aber menschlich verständlich (bei Zeitnot, hohem psychologischen Druck, komplexer Stellung, möglicher Erschöpfung).
  • In solchen Situationen spielen reine Rechenmaschinen unter Zeitdruck nicht selten etwas genauer – auch wenn sie nominell bisweilen 1000+ Elo-Punkte tiefer angesiedelt sein können.

3. Spielstärkekorrelation – was lässt sich daraus ableiten?

ProtagonistenSpielstärkeWer ist Was
Stockfish 16+3600 EloSchachprogramm der Superlative
Magnus Carlsen2839 Elo **16. Schachweltmeister
Gukesh D.2777 Elo **18. Schachweltmeister
Mephisto Berlin 680002130 EloSchachcomputer von 1992
Mephisto MM IV1960 Elo4. Rechenmodul von 1987
Mephisto MM II1820 Elo2. Rechenmodul von 1985
Mephisto MM I1550 Elo1. Rechenmodul von 1983
Tabelle zur Veranschaulichung

4. Neutrale Betrachtung:

  • Alte Schachcomputer überragen Menschen nicht generell, sondern nur in genau jenen Momenten, wo Zeitnot, Emotion oder Konzentrationsabfall zu menschlichen Fehlleistungen führen kann. Das ist die Schnittstelle, welche die Stärke und Schlagkraft alter Maschinen * zeigt.
  • Ihre „Stärke“ beruht nicht auf Tiefe, sondern auf Zuverlässigkeit bei simplen Bewertungen: Material, Königssicherheit, Taktik, unmittelbare Mattdrohungen.
  • Daraus folgt: In vereinfachten Endspielen oder taktisch klaren Phasen können die Schachcomputer von damals – selbst heute – noch leistungsfähige Referenzpunkte sein.


* Es sei angemerkt, dass das nicht für die Partie als solche in deren Gesamtheit gültig ist, sondern für ausgewählte kritische Momente, die nicht pauschal, aber oftmals doch mit relativ wenig Zeit pro Zug in Verbindung stehen.

** Die angegebene Elozahl entspricht dem gegenwärtigen Zeitpunkt und kann variieren.