Turnier Update – die Schachcomputer der Mittelklasse

Hier stelle ich einen kurzen Turnierdurchlauf vor, der 56 Partien beinhaltet. Die Unwägbarkeiten standen, was die Resultate betrifft, erheblich im Vordergrund. Eigentlich entspricht es ähnlich einer Wahrscheinlichkeitskurve wie sie auch in Vereinsturnieren über den Daumen gepeilt anzutreffen ist.

Der Sieger des Turniers, Mephisto „MODENA“ (Performance 1993 Elo), musste trotz seiner grundsätzlichen Dominanz zwei komplette Punkte abgeben. Das Ungewöhnliche daran war vor allem, dass das ausgerechnet gegen zwei Gegner passierte, die in der Performance eine Klasse tiefer liegen. Den Mephisto B&P, der hier nur eine Performance von 1557 Elo erreichte sowie den GGM Steinitz mit einer Performance von 1739 Elo, gegen welchen der Modena allerdings im Rückspiel (wie hier dokumentiert) deutlich siegte.

Das taktisch oft stark agierende Modul MM II von Mephisto, welches hier nur eine Performance von 1690 Elo verzeichnen konnte, gewann trotzdem seine beiden Partien gegen den nominell stärkeren Mephisto REBEL 5.0 von Ed Schröder (Performance 1834 Elo), dem Zweitplatzierten in diesem Durchgang. Auf dieser Levelebene, obwohl grundsätzlich doch etwas getrennt in mindestens zwei Ligen, sind die Wahrscheinlichkeiten in der Abschätzung immer relativ zu sehen. Denn insofern hätte der Fidelity „SENSORY 9“ keinen Stich machen dürfen, was in der ersten Runde auch so der Fall gewesen ist. Zuletzt schnitt er jedoch mit einer Performance von 1495 Elo noch respektabel ab. In Runde 2 siegte er sogar gegen den „Super CONSTELLATION“ von NOVAG, fast eine Sensation. Einen weiteren Punkt holte er sich gegen den Mephisto B&P, gegen den MM II konnte er immerhin remisieren. Die Einstufung in ELO, Performance und die Klasseneinteilung sind zwar wegweisende Gewichte, die sich aber nicht immer als berechenbar oder gar feststehend erweisen.

Als erwähnenswert stark und offensichtlich gut in Form hat sich auch der CHAFITZ „ARB SARGON 4.0“ präsentiert. Im Turnier zwar drittplatziert, erreicht er aber in puncto Performance 1844 Elo, unabhängig von seiner nominellen Wertung mit 1736 Elo.

Gegen den GGM Steinitz siegte und remisierte das Gerät. Im Wettstreit mit dem Mephisto „REBEL 5.0“ hielt er das Gleichgewicht ad hoc 1:1. Dem Mephisto „MODENA“ war er trotzdem 2:0 unterlegen. Selbst dem NOVAG „Super CONSTELLATION“ war nur ein Remis in beiden Runden gegen ihn vergönnt. Im Direktvergleich mit dem FIDELITY und den anderen beiden Mitstreitern von MEPHISTO gingen die Punkte jeweils komplett an den „Sargon 4.0“.

Zur Abwechslung habe ich von den 56 Partien zwei mit Kommentaren angehängt. Dokumentieren die ständigen Unwägbarkeiten, die typischen Fehler wie Stärken von der Eröffnung bis Endspiel. Vielleicht sind es aber genau diese Ecken und Kanten, die diese Geräte zu interessanten Gegnern machen. Die Computerära dieser Zeit prägte ihren eigenen, unverwechselbaren Spielstil.

Mephisto Modena 1831 Elo – Chafitz GGM Steinitz 20 MHz 1752 Elo

Blitzpartie/Level 1

CHESS_COMPUTER_TOURNAMENT

D70: Grünfeld-Indisch

1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.Sf3 d5 4.cxd5 Sxd5 5.e4 Sf6 6.Sbd2 Hier sind wir aus dem Buch.

6…Lh6 Nicht sehr vorteilhaft, anstatt Lg7 7.Ld3 Nicht stark, Lc4 ist besser 7…Sc6 8.d5 e6 9.De2 Sb4 10.Lb5+ Richtig! 10…Ld7 11.Lxd7+ Dxd7

12.Dc4 Suboptimal, Rochade deutlich besser 12…Da4 Nutzlos?? Kann unproblematisch geblockt werden 13.b3 exd5 14.Dc3 Zweitrangig. Besser wäre exd5 gewesen 14…d4 Db5 eindeutig stärker. Jetzt wieder Ausgleich 15.Dc4 Da5 16.Sxd4

…Sxa2 Hier verkalkuliert sich das GGM Modul 17.Se6 Sd4f3 wäre vorentscheidend an der Stelle. So herrscht erneut Gleichstand 17…Tc8 18.h3 Db6 19.Da4+ Ke7 Schlecht? 20.La3+

…Kxe6 Blunder?? Sb4 wäre als Zwischenzug nötig gewesen und hätte noch die Dinge zusammengehalten.

21.Dc4+ Das bringt jetzt den Mephisto in sein Element. So lässt er sich seinen Sieg nicht mehr nehmen 21…Ke5 22.Sf3+ Theoretisch noch 8 Züge bis zum Matt.

Der „Modena“ benötigt ab hier noch 12 Züge 22…Kf4 23.e5+ Se4 24.Dxf7+ Sf6 25.Txa2 Kf5 26.exf6 Da5+ 27.Kf1 Da6+ 28.Kg1 Tcd8 29.Sh4+ Ke4 30.De7+ Kd5 31.Te2 Kd4 32.Lb2+ Kd5 33.Te5+ Kc6 34.Tc5+ Kb6 35.Dxc7# 1–0

Die gute Nachricht ist – der Modena hat die Partie eindeutig gewonnen. Die schlechte Nachricht – der GGM Steinitz hat sich hier eher mehr selbst besiegt. In der Wahl der Eröffnung dürfte Grünfeld-Indisch weniger seinen Stärken entgegenkommen. Schafft es das auf 20 MHz getunte Gerät, solide ins Mittelspiel zu gelangen, sind seine Chancen ein halbwegs vernünftiges Schach zu spielen, hingegen deutlich besser.

Jedenfalls zeigt sich die Mittelklasse der inzwischen mehr als 30 Jahre alten Schachcomputer doch absolut in ihrem Element. Soll einfach heißen – von starken taktischen Manövern bis hin zu verwunderlichen Aussetzern ist stets alles möglich. Und gerade der Mephisto „MODENA“ kann, wenn er zu seiner besten Form aufläuft, taktisch durchaus überzeugen. Selbst ein guter Vereinsspieler sollte ihn nicht unbedingt unterschätzen. Als Sparringspartner ist er für ein unberechenbares Schach immer geeignet.

Wer das Teil nicht selbst hat – es läuft auch als Emulation unter Shredder-Chess, Arena oder auch dem HIARCS Explorer. Und das gilt auch für fast alle anderen legendären Schachcomputer der Achtziger und Neunziger Jahre. Unabhängig ob es sich um die frühen Anfangsmodelle handelt oder weitere Entwicklungen, die zuletzt Mitte bis Ende der Neunziger erschienen sind, jene, die spieltechnisch mit höheren Ligen respektive älteren PC-Programmen im Vergleich durchaus mithalten konnten. Aber jetzt zurück zu unserem Turnier. Untenstehend eine weitere Partie der Oldies.

Chafitz GGM Steinitz 20 Mhz 1752 Elo – Novag Super Constellation 1742 Elo

Blitzpartie/Level 1

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E30: Nimzo-Indisch/Leningrader Variante

1.d4 Sf6 2.c4 e6 3.Sc3 Lb4 4.Lg5 h6 5.Lh4 c5 6.d5 d6 7.Dd3 letzter Buchzug.

7…0–0 8.Sf3 0–0–0 wäre für den „GGM Steinitz“ besser gewesen 8…Ld7 „Super Constellation“ gibt Vorteil zurück. b5 oder exd5 in dieser Situation stärker 9.dxe6 Lxe6 10.Lxf6 Dxf6 11.Tc1 Mittelmäßig

11…Df4 Nun wieder ausgeglichen 12.e3 Df5 13.Dxd6 Sc6 14.Ld3 Dg4 15.Dg3 Dxg3 16.hxg3 Tad8 17.Ke2 La5 18.Sa4 b6 19.Le4 Se7

20.Thd1 …Lg4 Fragwürdig? f5 zweifellos sinnvoller 21.Txd8 Txd8 22.Td1 Te8 23.a3 Sg6 g5 stärker und vermeidet Doppelbauer 24.Lxg6 fxg6 25.Kf1 Gibt die Turmdeckung auf 25…Kf7 26.Kg1 Die Stellung ist ausgeglichen.

26…Ke6 27.Td5 Lxf3 Fauxpas für den „Super Constellation“ 28.gxf3 g5 29.e4 Zweitklassig. g4 stärker 29…a6 30.b4 Fragezeichen? Vereinfacht die Lage für Schwarz.

30…cxb4 31.axb4 Lxb4 32.Sxb6 Te7 33.c5 a5 34.Kg2 Statt Td6+ wird der Vorteil augenblicklich wieder verschenkt 34…Tc7 35.Sa4 Kf7 Bedenklich? Etwas desorientiert 36.Kg1 Aber der „GGM Steinitz“ macht es nicht allzu schwer und zieht ohne Grund seinen König zurück. f4 als Alternative stärker 36…Ke6

37.Kf1 Td6+! Kf1 gibt den Vorteil letztlich zurück 37…Kf7 „Super Constellation“ will wieder auf ein schwaches Feld zurück. Erneut ein Geschenk an den „GGM Steinitz“ 38.Kg2 Warum nicht lieber Ke2! Oder halt den Modus Rückwärtsgang 38…Ke6

39.Kg1 Fast schon ein Remisangebot 39…Tf7 40.Td6+ Ke5 Nicht gerade übermäßig 41.Td3 Tc7 42.Kf1 Ke6 43.Td6+ Ke7 44.Ta6 Kd7 Also? Lxc5 eindeutig besser 45.Tg6 Lxc5 46.Sxc5+ Txg7 weitaus stärker 46…Txc5 47.Txg7+ Kc8 48.Th7 Tc6 49.f4 Ta7 und der Gewinn läge nahe 49…gxf4

50.gxf4 …a4 Blunder?? Schon droht erneut Ta7 51.f3 Blunder?? Wird lieber verschenkt. Jetzt aktuell noch immer Remisstellung 51…a3 Blunder?? Ta7 droht immer noch 52.Ta7 Na endlich

52…Tc3 53.Ke2 Kb8 54.Ta6 h5 55.f5 Kb7 56.Ta4 Kc6 57.e5 Kb5 58.Ta8 Kb4 59.f6

…Tc7 Das Spiel ist komplett verloren.

Der „GGM Steinitz“ braucht jetzt noch 12 Züge bis zum Sieg 60.e6 Tc2+ 61.Kd1 Tc8 62.Txc8 a2 63.Ta8 Kb3 64.Kc1 h4 65.f7 h3 66.f8D a1D+ 67.Txa1 h2 68.Db8+ Kc4 69.Dxh2 Kd3 70.Ta4 Ke3 71.Tf4 Kd3 72.Dd2# 1–0

In dieser Partie zeigte der GGM Steinitz das er auch anders kann, sprich etwas mehr Potenzial hat. In dieser Klasse entscheidet, ganz ähnlich wie beim menschlichen Spiel, merklich die Tagesform. Entsprechend wechselhaft können die Ergebnisse in Turnieren wie solchen ausfallen. Für gewöhnlich ist der NOVAG Super „CONSTELLATION“ kein unbedingt leichter Gegner. Infolge seiner PSH-Algorithmen (passt sicher halbwegs), einer Programmiertechnik von „Dave Kittinger“, wurde er häufig zum sehr angriffslustigen und unberechenbaren Spieltypus. Selbst stärkeren Computern nimmt er gelegentlich immer wieder einen Punkt ab und landet, wie hier im Turnier, mehr im oberen Mittelfeld. So genial wie er in bestimmten Stellungen auftritt, so enttäuschend kann er auch gleichzeitig in manch gewöhnlichen Positionen agieren. Hier haben sich beide nicht viel genommen und das Ergebnis tendierte dahingehend – wer den letzten Fehler macht, verliert. Oder die leicht greifbaren Chancen links liegen lässt.

Der vielleicht interessanteste Aspekt lag in der spürbaren Fehlertoleranz der Programme jener Zeit. Zwischen schräg, unverständlich und genial war alles drin. Große Fehler wurden i.d.R. durch die breite Rechentiefe, wenn auch nur auf einige Züge beschränkt, abgedämpft. Viele moderne Eröffnungen werden ausgespielt, aber selten zum eigenen Vorteil behandelt. Dann, während des Mittelspiels, zeigen sie oft überraschende taktische Raffinessen, verwerten diese Vorteile jedoch zu oft nicht. Im Endspiel reicht die reine Rechenfähigkeit dann selten aus um in unübersichtlichen Stellungen den Überblick zu behalten. Deshalb ist in diesem Bereich der Punkteverlust am häufigsten.